Räuber 7

Die Osterferien kamen und waren eigentlich zum Lernen vorgesehen. Doch an einem Tag packte er Lotte, schmiss den Wagen seiner Mutter mit Zeugs voll und fuhr zur See. Es war zwar kaltes, windiges Wetter, aber der Himmel war klar.

Die Fahrt über war er sehr schweigsam und antwortete nur dürftig. Lotte ließ ihn in Ruhe. Doch kaum waren sie am Meer, da tobte er wie ein Wilder durch den Sand, steckte seine Füße in die eiskalte Nordsee und half Lotte ein paar Muscheln einzusammeln. Zum Mittag breiteten sie eine Decke aus und er holte hervor, was er im Speisekeller hatte finden können: Eine Dose Ananas, ein Glas Würstchen, ein trockenes Brot, etwas Aufstrich, eine Büchse Fisch… Alles Kram, der nicht unbedingt wunderbar harmonierte, aber seine Spontaneität deutlich bewies: Er hatte diesen Trip nicht geplant.

Lotte kuschelte sich in seine Arme, während er sie mit Ananas fütterte und sich wunderte, wie zufrieden er war. Unglaublich. Er hätte nicht gedacht, dass es so werden könnte, dass ihm jemals an jemandem so viel liegen könnte. Immer und immer wieder konnte er sich darüber erneut wundern, und immer wieder huschte dann ein Lächeln über sein Gesicht und ein warmes Gefühl kam ihm hoch, das ihm sagte: „Das ist es! Genauso soll es sein! Genauso glücklich sollst du sein!“Aber es gab da dieses kleine Teufelchen, das hämisch lachte und sagte: „Du kannst nicht mehr lange glücklich sein. Du wirst das Glück eh kaputt machen. Du hast es in dir zu zerstören. Du bist ein Zerstörer. Ein Tölpel, dem nur ein bisschen Glück vergönnt ist. Letztlich willst du nur eins: Saufen. Du säufst dir das Hirn aus dem Kopf und die Süße aus dem Bett.“

Er wollte nicht, dass das Teufelchen Recht hatte. Doch wenn er auch nur eine Woche aufhören wollte zu trinken, wurde er unruhig und zitterte.

Weißt du… Ich… Lass uns weggehen.“

Weggehen?“

Ja. Einfach so. Wir klauen meiner Mutter den Wagen und verschwinden.“

Sie richtete sich auf und sah ihn an: „Das meinst du nicht ernst?!“

Natürlich meine ich das ernst. Was ist es für eine Leistung, sein Abitur zu schaffen?!“

Simon. Du wirst dein Abi locker machen. Aber du bist doch nicht so lange in der Schule geblieben, um nun zu gehen?“

Und danach?“

Danach machst du Zivildienst.“

Und dann? Was mache ich nach dem Zivi? Ich habe keine Ahnung, was ich machen soll. Was kann ich denn gut? Ich…“

Nein, das bist du nicht. Du bist kein Versager, also sag es erst gar nicht.“

Sie hatte seine Gedanken erraten. Es war ihm häufiger in letzter Zeit aufgefallen, dass sie gegenseitig dazu fähig geworden waren. Er hatte dabei auch schon Treffer landen können: „Lotte, ich will weg. Mich hält nichts ins Deutschland.“

Mich auch nich, und das weißt du. Aber die Schule sollten wir dann doch zuende machen. Und Zivildienst ist nu meistens nicht schwerverdientes Geld.“

Was weißt du denn davon?“

He! Was soll das denn? Nun werde mal nicht motzig, ja? Den machst du doch mit links. Immer freundlich zu den alten Leuten sein und gut ist es. Und was danach kommt…“

Danach kommt alles. Das Leben kommt dann. Ich bin dann frei. Und du auch. Denn du hast nächstes Jahr Abi, du musst keinen Zivildienst machen… Du bist zur gleichen Zeit frei wie ich… und dann können wir… Weggehen, oder?!“

Ja, weggehen auf jeden Fall. Ich muss auch mal raus hier und was anderes kennenlernen…“

Er schwieg eine Weile, bis er fragte: „Würdest du mit mir weggehen? Nach dem Zivildienst, wenn uns die Decke auf den Kopf fällt? Würdest du dann mit mir mitkommen? Auch wenn ich dir nicht sagen kann wohin und auch wenn ich dir nicht versprechen kann, dass wir Geld haben? Ich kann dir nur versprechen, dass ich bei dir bin“, er schwieg wieder kurz: „Und? Würdest du?“

Was soll ich denn ohne dich in Deutschland? Natürlich würde ich mitkommen.“

Versprich es mir.“

Ich verspreche es dir.“

Gut. Das ist gut.“

————————

Doch es half nichts. Je mehr er sah, wie gut Lotte alles im Griff hatte, umso unsinniger kam es ihm vor, dass sie mit ihm zusammen war. Er grübelte häufig, was eigentlich nicht seine Art war. Und je mehr er grübelte, je mehr trank er. Was wäre ein Leben ohne Alkohol?

Er schrieb seine Abiklausuren und er ergatterte einen Schnitt von 2,5. Es war keine Glanzleistung, aber es war auch nicht übel dafür, dass er während der Geschichtsklausur im Delirium vom Tag vorher gewesen war. Er hatte ein wenig zu weit ausgeholt, hatte seine eigenen Meinungen in das Thema hineingebracht, hatte seine Moral und sein Verständnis der Welt und des Punks hingeschrieben, während er eigentlich über den Nationalsozialismus hätte diskutieren und an ihm kritisieren sollen, um ihn dann zu verwerfen. Das hatte er auch eigentlich gemacht, aber er hatte sich zu sehr von Gefühlen mitreißen lassen, hatte zu subjektiv argumentiert. Na ja, eine Drei war kein Weltuntergang…

Nachdem er von der Verkündung der Noten Anfang Juni zu Lotte kam, grinste er. Es war nicht die Note, die ihn grinsen ließ, nicht der Durchschnitt von 2,5, sondern das Wissen, die Schule, diese Pflichtinstitution, nun hinter sich lassen zu können. Er liebte diesen Gedanken. Er wollte nicht mehr in die Schule, wollte nicht studieren, wollte einfach den Zivildienst leisten und danach frei sein. Eigentlich war er nicht bereit sich Gedanken zu machen, welchen Job er annehmen sollte, was ihn interessierte.

Als er bei Lotte ankam, wedelte er mit einem Brief und grinste breiter: „Ich habe die Zivistelle in der Stadt bekommen und direkt dabei ist ein kleines Zimmer. Ich werde mich morgen dort als Zweitwohner melden.“

Morgen? Du ziehst erst in nem Monat hin, oder?“

Ja, und?“

Ich glaub, man kann sich nicht so lange vorher ummelden.“

Das werden wir noch sehen…“, doch er würde es nicht sehen. Es gab eine gute Chance, dass Lotte Recht hatte und das musste er ihr nicht eingestehen. Er gestand schon zuvieles ein, so viel manchmal, dass es an seinem Ego kratzte. Bei fast allem was sie sagte, war sie sich sicher und das meist zu Recht. Es irritierte ihn, wie jemand so oft Recht haben konnte. Na ja… War auch nicht weiter schlimm.

10 Gedanken zu “Räuber 7

      1. klar geht es weiter. es ist aber eigentlich ein kurzer roman und ich bin mir nicht so sicher, ob ich alles hier hochladen werde … Dann hätten wir nämlich noch zahlreiche Folgen vor uns …

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