Die Unnormalen V

5

– Er – 

Weil sie so wunderbar ist? Ja, deswegen. Weil ich will, dass von allen Menschen gerade sie mir am ehesten erhalten bleibt. Sie muss da bleiben. Irgendwo. Sie muss nicht bei mir sein, aber ich habe manchmal den Eindruck, dass sie… Sie glaubt an mich, obwohl ich nichts erreicht habe, obwohl ich meinen Traum begraben habe, als meine Eltern in die Krise geschlittert sind. Ich… „Du bist nicht wunderbar“, sage ich auf ihr etwas höhnisch klingende Frage und ergänze, um ihre hochschnellenden Augenbrauen zu beruhigen und weil es wahr ist: „Du bist perfekt.“

Daraufhin entspannt sich ihr Gesicht und sie sagt: „Du auch für mich.“

Ich bin bestimmt einer der arschigsten, verlogensten und unperfektesten Menschen der Welt, normalerweise. Aber ich glaube ihr. Ich weiß nicht, wie sie nach allem was passiert ist, noch eine so hohe Meinung von mir haben kann. Ich habe keine Ahnung, wieso sie nie von mir verlangt hat, dass ich mich ändere, wieso sie nie einen typisch weiblichen Aufstand geprobt hat. Ich habe keine Ahnung, wieso sie mich in einer der Nächte, in der ich mit ihr Schluss gemacht habe, immer noch küssen wollte… Ich habe keine Ahnung, wieso ich mit ihr Schluss machen und ihren Kuss dennoch so intensiv erwidern konnte. Keine Ahnung. Nichts zwischen uns ist normal gewesen oder konnte an normalen Maßstäben gemessen werden. Vielleicht liegt das daran, dass wir keine normalen Menschen sind.

Als ich sie damals kennengelernt habe, da wollte ich herausfinden, ob das, was über sie erzählt wurde, der Wahrheit entsprach. Ich hatte gehört, dass sie relativ… nennen wir es „leichtlebig“ war, um sie nicht als „schlampig“ zu bezeichnen. Mir war zu Ohren gekommen, dass Spaß ganz oben auf der Liste von dem stand, was sie sich zu dieser Zeit von ihrem Leben erhoffte. Irgendwie hatte ich aus all dem geschlossen, dass sie Sex sehr leicht zugänglich war, und das war etwas, das ich außerdem ertesten wollte.

Vom Aussehen gefiel sie mir, obwohl ich eigentlich eher auf Blondinen stand und stehe, aber im Grunde bin ich nicht auf einen bestimmten Typ festgelegt. Nur dass eben alle meine Exfreundinnen blond waren… Na ja, vielleicht bin ich doch festgelegt. Ich fand sie nicht umwerfend hübsch und von ihrem Styling her war klar, dass sie keinesfalls in den Tussenbereich hineinfiel. Sie kleidete sich über Tag durchschnittlich, vielleicht manchmal eher etwas zu unauffällig, trug dafür aber in Discos die kürzesten Röcke, die ihre langen Beine betonten. Die Haare waren meistens offen. Das wichtigste an ihr war aber vielleicht immer schon der Charme, den sie versprühen konnte oder kann. Manchmal, wenn man es am wenigsten von ihr erwartet, wendet sie sich einem zu, beginnt über das ganze Gesicht zu lächeln und man muss das Lächeln erwidern. Und manchmal hat sie eine so lebendige, mitreißende Ausstrahlung, dass man sie an sich ziehen und dafür küssen will. Sie kann aber auch furchtbar arrogant und herablassend wirken und kann einem damit vermitteln, dass man der letzte Arsch in ihren Augen ist. Was wohl in meinem Fall auch oft so war.

Ja, und ich musste eben auch feststellen, dass ihr Ruf zu einem Teil gerechtfertigt gewesen ist. Sie ging leichtfertig mit Jungen bzw. Männern oder besser Typen um. Es machte ihr nichts aus, küssend gesehen zu werden. Und wir alle nahmen an, dass es in den meisten Fällen nicht bei Küssen blieb. Allerdings… Na ja, mittlerweile weiß ich es besser, aber damals hat es mich wirklich gereizt, ihr eines Abends „Schlampe“ hinter her zu rufen und genau das habe ich getan. OK, das war nicht so cool von mir, aber… Ich versuchte sie durch solche Aktionen von mir weg zu schieben, versuchte mir damit klarzumachen, dass sämtliche meiner Eifersuchtsanfälle, die ich im geheimen mit mir austrug, unsinnig waren, weil ich überhaupt kein Recht hatte, eifersüchtig zu sein: Wie kann man eifersüchtig sein, wenn man doch von Beginn an weiß, wie schlampig die Einstellung derjenigen Person ist, die man mit seiner Eifersucht bedenkt?!

Manchmal war ich so abfällig zu ihr, weil sie zu viel Macht über meine Gedanken gehabt hat. Ab und an war diese Macht so gewaltig, dass ich zu Typen, von denen ich sicher was, dass zwischen ihr und ihnen was lief, gegangen bin, und einen blöden Kommentar hab fallen lassen. Die idiotischste Aktion war die, als ich vor versammelter Fußballmannschaft zu einem meiner Kumpel hingestapft bin, mit dem ich sie mehrmals hab reden sehen und von dem ich ausging, dass sie was mit ihm hatte. Ich habe ihn vor allen anderen gefragt, was er eigentlich mit ihr zu schaffen hätte. Es hätte vollkommen abwertend klingen sollen, aber es klang selbst in meinen Ohren nur verdammt eifersüchtig. Ich habe sie nach diesem Tag gehasst, weil ich mich lächerlich gemacht hatte. Das Problem war, dass ich sie nie lange hassen konnte. Wenn ich sie wieder sah und wenn wir normal miteinander umgingen, wenn wir redeten und lachten, wenn sie mich ansah und ein wenig flirtete, dann hatte sie mich wieder weich. Und dafür habe ich sie auch gehasst.

Ein Gedanke zu “Die Unnormalen V

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