Sehnsucht nach dem erzwungenen Mehr

Anfang des Jahres hat man ja oft so einen Schub, denn weil das Jahr neu ist, denkt man, man kann sich selbst und/oder sein Leben erneuern oder auffrischen. Vorsätze: Ein Satz, der zeitlich vor dem Vollzogenen liegt. Und manchmal im luftleeren Raum bleibt.

Irgendwann zum vergangenen Jahresbeginn öffnete ich einen Zweitblog, der mein Hauptblog sein sollte, und für den ich sogar zahlte. Vielleicht zwei Wochen lang veröffentlichte ich dort, aber nichts Neues. Und der Schub für meine Schreibtätigkeit, von dem ich dachte, dass ein kostenpflichtiger Blog ihn geben würde (so wie nur das Bezahlen des Fitnessstudios mich in ebendieses zwingt), blieb komplett aus. Auch die Verbindung mit einem zweiten Instagram-Account half nicht.

Obwohl ich Zeit ohne Ende habe, nutze ich sie nicht für das, was mir früher so wichtig war. Warum nicht?

Schreiben gab mir immer etwas, während ich litt. Ich musste mir von der Seele schreiben, was mich bedrückte, und musste literarisch ändern, was die Realität nie zuließ. Und so wurden die Typen, die mich nicht wollten, in den Geschichten die, die sich besannen. Und jede Geschichte war meine, aber mit einem glücklichen oder für mich befriedigenden Ende.

Als ich meinen Ex in meinem Buch hatte sterben lassen, war eigentlich alles gesagt. Mit seinem literarischen Tod war auch meine auf mich bezogene Kreativität beendet. Zu zufrieden war und bin ich in meiner Beziehung, als dass ich mir Dinge ausdenken will, die mich und andere hinterfragen lassen könnten, was in meiner Beziehung nicht stimmt, weil ja immer ich irgendwie die Hauptperson meiner Geschichten war und wenn ich nun von anderen Typen oder anderen Leben schreibe, könnte man, könnte ich auf mich zurückblicken und denken: Ha, doch nicht glücklich, da ist Sehnsucht nach Mehr.

Und tatsächlich ist ja immer Sehnsucht nach Mehr da. Sonst wären wir Menschen nie aus den Höhlen rausgekommen. Wir wollen immer ein bisschen mehr, als wir haben. Wir sind nie über einen langen Zeitraum zufrieden, sondern setzen uns selbst unter Druck oder lassen uns den Druck machen: Es muss mehr kommen, mehr Leben, mehr fremde Länder, mehr fremde Menschen, mehr Freunde, mehr Anerkennung.

Weil das Leben endlich ist, soll jeder Tag Sinn haben. Ich sage mir, dass die Arbeit als Lehrerin bereits sehr sinnstiftend ist, dass ich damit viele Menschen erreiche, sie begleite, sie unterstütze, ihnen helfe. Und das stimmt: Es ist ein absolut sinnhafter Beruf, den ich ganz selten hinterfrage. (Vor zwei Monaten z.B., als Schüler der zweiten Schule, zu der ich teilabgeordnet worden bin, nicht so tickten, wie ich wollte. Doch man muss sich eben auch erst mal ein Standing erarbeiten. Überall.) Aber der Job ist auch einer, der Kräfte zehrend ist und mich zu oft um sieben Uhr auf die Couch haut und für anderes die Lust nimmt. Darum hinterfrage ich ihn dann doch kurz und denke mir, ich brauche weniger von ihm (und mehr Verwaltung durch Schulleitungsaufgaben) oder eine Auszeit zum Luftholen.

Kinder geben dem Leben natürlich auch Sinn. Aber der Zug ist abgefahren und ich bedauere das auch meistens nichts. Eine absolute Sicherheit, dass ich es nicht irgendwann mal sehr bedauern werde, gibt es aber nicht. Ich sehe meine Freundinnen, die Mütter sind, und bewundere, was sie alles mit Kindern schaffen, während ich um sieben auf dem Sofa liege und mit der Sinnhaftigkeit meines Berufes entschuldige, dass ich wieder keinen Bock hatte, einem Hobby oder einem Sport nachzugehen. Meine eigene Antriebslosigkeit nach der Arbeit nervt mich. Und dann kommen die Gedanken, dass eigene Kinder dem abhelfen würden, weil ich dann gezwungen wäre, etwas zu tun, mich zu kümmern.

Aber dann sehe ich meinen Freund, der seine kreative Seite auch abends noch auslebt, der malt, zeichnet, bastelt, werktelt, konstruiert oder sich seinen Nerdspielereien ergibt und der das als Ausgleich für einen PC-Job braucht. Ich brauche das anscheinend einfach nicht. Aber durch all den Druck um uns herum, mache ich ihn mir selbst, den Druck, dass ich mir einen Vorsatz schaffen muss, damit ich nicht irgendwann doch über mein Leben sage: Ich hätte mehr draus machen können. Die Frage ist nicht: Hätte ich, sondern muss ich?

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5 Gedanken zu “Sehnsucht nach dem erzwungenen Mehr

  1. Als ich Deinen Blog vor vielen Jahren entdeckte – ich weiß nicht mehr, wie es dazu kam; ich bloggte selber auch damals unter meinem damaligen (und letzten) Pseudonym Aka Teraka – habe ich Deine Geschichten sehr gerne gelesen. Du warst bestimmt eine lange Zeitlang eine meiner Lieblingsfremdbloggerinnen.

    Dann habe ich alle meine Blogs in diesen einen gemündet und verlor dadurch alle meine damaligen Follower und Gefolgten.

    Ich habe tatsächlich irgendwann vor ein paar Monaten an Deinen Blog wieder gedacht, ihn gesucht und gefunden. Schön, daß Du noch dem Schreibdrang folgst, auch wenn Du ihn jetzt anderen Themen widmest.

    Aber solltest Du irgendwann auch aus den alten Erzählungen ein Buch machen, dann bitte laut bekannt geben. Ich würde es nämlich total gerne kaufen.

    Gutes Neues Jahr.

    1. Lieber Che,

      ich wünsche dir auch ein frohes Neues!

      Ja, tatsächlich warst/bist du ein Leser der ersten Stunde. Leider schrumpft die BloggerCommunity ja aus verschiedenen Gründen gefühlt immer weiter zusammen, sodass nicht mehr so viele aus der Anfangszeit übrig geblieben sind. Aber auch ich bin ja wie erwähnt nicht mehr so aktiv.

      Damals habe ich mit dem Bloggen begonnen, weil ich dachte, ich könnte mein Buch damit promoten, was auch ein bisschen geklappt hat, aber nicht für irgendeinen Durchbruch reichte. Wenn du willst, schicke ich es dir postalisch zu. Allerdings bin ich selbst nicht mehr ganz zufrieden, weil sich doch ein paar Tipp- und Kommafehler eingeschlichen haben. Deswegen habe ich die ISBN aus dem Verkehr gezogen.

      Lieber Gruß!

      1. Liebe Steff (Stefanini ? 😊),

        vielen Dank! Sehr gerne würde ich Dein Buch lesen – obwohl ich es, ehrlich gesagt, viel lieber kaufen/bezahlen würde. Aber das kann noch nachträglich erledigt werden.

        Vielleicht kannst Du mir Deine Emailadresse über eine PN in Insta schicken. (@che_chidi_literaturia).
        Dann send ich Dir meine Anschrift.

        PS: Über bzw in Insta kann man mittlerweile sein Schreibwerk gut promoten, finde ich. Besser wie früher, auf jeden Fall.

        Liebe Grüße & keep on writing 🙂

        Che

  2. Immer lese ich gerne bei Dir. Obwohl ich keine Kinder habe begleitete ich viele junge Menschen als Lehrender in der Hochschule und habe ihnen geholfen sich selbst zu finden und sich zu entwickeln. Mein Ausdruck ist eher das Bild. Grüße ins neue Jahr. Tom

    1. Lieber Tom,
      tatsächlich habe ich ja auch an der Hochschule gelehrt – und da festgestellt, dass ich eher Lehrerin als Lehrende bin.
      Ohne Kinder ist das Leben ziemlich in Ordnung, aber als Frau nagt wegen der ablaufenden Zeit (bzw. der abgelaufenen Zeit) vielleicht ab und an der Zweifel doch ein bisschen an einem. Aber Kinder als Sinnerfüllung im Leben ist jedenfalls ein Konzept, das ich nicht verinnerlicht habe.
      Lieber Gruß und danke für deine Worte!

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